Wie das so manchmal geht! – Es war schlechtes Wetter, und was macht man? Man stellt fest, daß wiedermal aufgeräumt werden sollte. Ich sah meinen kleinen Bücherschrank an und es war klar, der hatte es bitter nötig. Systematisch ging ich zu Werke. Plötzlich stutzte ich. Da standen, noch verbunden in den Schutzhüllen, die mein Vater damals gemacht hatte, meine Berichtshefte aus der Lehrzeit bei „Atlas“. Ich vergaß das Aufräumen und begann zu blättern. „Warum habe ich mich eigentlich nie von den Heften getrennt?“ fragte ich mich. Ich blätterte immer langsamer, las alle Eintragungen und sah  mir die Zeichnungen und die Skizzen an. Dann kamen immer Erinnerungen hoch. Die Ausbilder, Meister, Kollegen und das Werksgelände an der Weser. Viele kleine Begebenheiten im Lehrlingsalltag tauchten im Gedächtnis auf. In irgendeinem Fotoalbum hatte ich noch Fotos aus der Zeit…..                                                                 

  1 Jahr vor meiner „Mittleren Reife“ bewarb ich mich bei „Atlas“ als Feinmechaniker – Lehrling. Das war 1954. Leider war der Jahrgang 1955 schon voll belegt. Aber die Firma leistete es sich, aufgrund der Nachfrage, im Herbst 1955 nochmal Lehrlinge aufzunehmen. Dabei war ich. Das Wirtschaftswunder gab es noch nicht, aber die noch schwache Konjunktur brauchte Nachwuchs an Facharbeitern, allein auch deshalb, weil ja viele Kollegen im Krieg geblieben waren. Um als Lehrling bei „Atlas“ angenommen zu werden, mußte ich mich einem Test unterziehen. Das „Institut für Jugendkunde“ war darauf eingerichtet. Das war am  Osterdeich und mein Vater ging mit mir da hin. Da gab es allerlei Anforderungen zu erfüllen. Unter anderem hatten die ein großes Zahnräderwerk auf einem Tisch aufgebaut. Jemand zeigte auf eines der Räder und fragte mich, wenn er dieses Rad in eine Richtung drehen würde, irgend ein anderes welche Drehrichtung hätte. Zahnräder haben mich schon damals sehr beeindruckt.

     Nun mußte ich mich bei meinem Lehrherrn vorstellen. Ich wurde an einen Herrn Sommer verwiesen. Der fragte mich nach allerlei allgemein bildenden Themen, oder besser, er quetschte mich aus nach allen Regeln der Kunst. Ich kam bald ins Schwitzen, konnte aber noch mit halten, als er auf astronomische Eckdaten kam – damals wußte ich das noch alles. Nach ein paar Tagen kam ein Brief und darin stand, daß ich am 3. 10. 1955 um 7 Uhr am Haupttor der „Atlas – Werke“ zu erscheinen hätte. Von  meinen großen Brüdern existierte noch ein zerschlissener Arbeitsanzug, den packte ich ein, schwang mich aufs Fahrrad und fuhr hoffnungsvoll dort hin. Es war ein sonniger Tag und als ich ankam hatten sich schon ein paar Kandidaten eingefunden. Ich stellte mich schweigend dazu. Dabei fielen mir die riesigen Männer auf in ihren braunen schweren Arbeitsanzügen, die zur Arbeit strömten. Helme gab es noch nicht, trotzdem wirkten die auf mich gewaltig. Irgendjemand sammelte uns ein und führte uns weg.

  Dann hielt der Lehrlingszug und wir standen vor einem alten Rotsteinbau. Ich sah an dem Bau vorbei und entdeckte die Weser.   Die Lehrwerkstatt befand sich im Dachgeschoß. Im Erdgeschoß wurden die Holzmodelle für die Gießerei hergestellt, aber davon hörten wir später. Im 1. Obergeschoß war die Schiffstischlerei eingerichtet. Die machten den Innenausbau für die Schiffsneubauten. Immer, wenn ich an der Eingangstür vorbeikam, dann drang mir ein intensiver Geruch entgegen. Da wurde sehr viel Teakholz verarbeitet. Vielleicht war das der Grund, das ich seit dem bis heute ein begeisterter „Holzwurm“ geblieben bin.

  Wir hatten das Dachgeschoß erklettert und hielten vor einem Podest, der teilweise verglast war und Meisterbude genannt wurde. Meister Alfons Fiedler nahm die Personalien auf: „Wie heißt Du“ – „Blanckenhorn Hans Henning!“ – „Mit, oder ohne Bindestrich?“ – „ Ich glaube, - mit.“ – „Glauben heißt: Nicht wissen!“ So hatte ich meinen ersten Anpfiff weg.

  Unsere Lehrgesellen waren Willi Kroning, Herr Bartels und „Opa“ Hahn. Bild 1 mit Jürgen Bartels und Gottfried Mader. Opa Hahn war, so wurde erzählt,  schon 1905 bei „Atlas“ in die Lehre gegangen.

Bild 1
Bild 2
Bild 3 Meister Fiedler an der Tuchier-Platte

  Die ersten Wochen waren schwer für uns alle. Zuerst drückte man uns eine riesige Schruppfeile in die Hand und damit mußten wir einen grob gesägten Eisenklotz eben und  rechtwinklig feilen. Da gab es Blasen an den Händen. Bild 2 zeigt den Verfasser mit so einem Ding. Danach lernten wir, wie man einen Eisenklotz mit dem Meißel bearbeiten konnte. Wir lernten präzise zu arbeiten und Meister Fiedler, Bild 3, verstand es  sein Wissen hervorragend zu vermitteln. Er brachte uns bei, wie man ein verbeultes Blech wieder flach bekam. Wir lernten das Vernieten , das Drehen, das Fräsen, das Läppen und Tuschieren… Die Auflistung könnte noch viel länger sein.

  Die Randbedingungen in der Firma waren sehr einfach. Die einzige Toilette die ich im Werk kannte, war ein frei stehendes Häuschen mitten auf der Werkstraße vor dem Gebäude, wo auch die Lehrwerkstatt untergebracht war. Fürs große Geschäft gab es lediglich Nieschen, aber keine Türen davor. Die Kollegen behalfen sich mit einer Tageszeitung – das wars. Wenn Opa Hahn feststellte daß ein paar Lehrlinge nicht am Schraubstock waren, begab er sich zu dem Häuschen und konnte seine Kandidaten wieder in die Werkstatt zitieren. Im Winter gab es diese Probleme nicht, denn das luftige Häuschen war nicht beheizt. Auch eine Kantine gab es, so glaube ich, nicht. Zumindest für die Arbeiter nicht. Das einzige war ein ganz kleiner Verkaufsraum, wo man auch belegte Brötchen bekam. Ich hatte mein Frühstück von zu Hause mitbekommen und war nur einmal in dem Laden. Ich war derzeit im Prüffeld eingesetzt und da war es üblich, daß der Stift eine kleine Holztrage verpasst bekam um für die Kollegen das Frühstück zu besorgen. Jetzt stand ich in dem Laden zwischen lauter stattlichen Werftarbeitern und die ließen mich nicht an den Tresen. Ich protestierte und  bekam zur Antwort: „Du, Stift, hast Zeit, wir müssen Akkord arbeiten“! Die Verkäuferin hatte mit mir ein Einsehen und bediente mich. Ach, ich sah Brötchen mit Fleischsalat belegt. Sowas Tolles gab es zu Hause nicht und 25 Pf. wollte ich mir nicht leisten.

  Es gab sogar warmes Mittagessen. Das wurde in der Werksküche zubereitet und dann in große Kübel gefüllt. Hinnerk Meyer lud die Kübel auf seinen Elektrokarren und brachte sie zu den Werksätten. Jeder hatte seinen Henkelmann und ein bestimmter Essendienst besorgte die Austeilung. So war das auch in der Lehrwerkstatt, mit dem Unterschied, daß wir erst die Kübel über die eiserne Außentreppe in die Werkstatt schleppen mußten. – A Propos Schleppen: Ein Kraftakt war der Austausch von Gasflaschen. Diese mannshohen Stahlbehälter wogen rund 2 Zentner. Die Flaschen bekamen 4 Griffe und damit mußten wir die Dinger vom 4. Stock über die Außentreppe herunter  und die gefüllten Flaschen  wieder hinaufbringen. Pro Flasche 4 Mann.

  Wenn das Essen ausgeteilt war, dann kletterte jeder auf die weserseitige Werkbank. Da hatten wir eine schöne Aussicht. Wir sahen nach Pusdorf hinüber, beobachteten den Schiffsverkehr oder sahen im Winter den Möven zu. Bild 5 mit von vorne: Christian Glasow, Hans Schulz, Karsten Köster und Gottfried Mader. Wenn dann die Werksirene das Ende der Pause einheulte stand Opa Hahn schon bereit und begann mit  seinem Zollstock, den er immer bei sich hatte, die Lehrlingsbuckel leicht zu klopfen. „Runner vonne Werkbank!“ Dann ging die Arbeit weiter. Es wurde auch Kaffee kostenlos ausgegeben. Hinnerk Meyer übernahm auch die Verteilung der großen Alukannen. Irgendwann hat mal einer einen Vers gemacht:

Für viele ist das wohl nicht neu,

das „Atlas – Kaffee – -Kunstgebräu.

Gebraut aus Wesers brauner Jauche

blubbert es vergnügt im Bauche!.

Bild 5

   Dann kam der Winter 1956.Wochenlang war es eiskalt Die Weser wollte dauernd zufrieren, nur irgendwelche Schlepper, die  als Eisbrecher eingesetzt waren, hinderten sie daran. Frühmorgens beobachteten wir, wie die Fähre Pusdorf durch das aufgebrochene Eis überqueren wollte. Mitten auf der Weser ging nichts mehr und sie saß fest .Es dauerte nicht lange, da  stapften die Fahrgäste über das Eis um an Land und zur Arbeit zu kommen. Genau so sahen wir schweigend zu, wie die Werftarbeiter an einem Schiffsneubau .  bei bittererer Kälte, im Freien arbeiten mußten. Es flogen die weiß glühenden Nieten über das Deck, die zum Teil von den „Nietenkloppern“ aufgefangen wurden. Sie steckten die heißen Dinger in die vorbereiteten Löcher und ein lautes Geknatter zeigte an, daß die Vernietung saß.

  Ich mußte jeden Morgen von Hastedt zu  „Atlas“ radeln. Andere Kollegen hatten es weiter zur Arbeit. Natürlich war ich warm eingepackt.  Draußen herrschten manchmal  minus 25 – minus 30 Grad Temperatur. Ich trug einen Anorak mit Kapuze. Der Reißverschluß war so hochgezogen, daß nur noch Brille und Nase zu sehen waren. Als ich dann die Lehrwerkstatt erreichte, war der Reißverschluß mit einem dicken Eisklumpen eingefroren. Wir durften ja erst die Stempeluhr bedienen, wenn wir in der Arbeitskleidung steckten. Um 7 Uhr war Arbeitsbeginn. Einige Kollegen und ich, wir waren um 10 Min. nach 7 immer noch am Auftauen. Meister Fiedler hatte ein Einsehen und vermerkte in der Stempelkarte, daß wir pünktlich waren. Pünktlichkeit war sehr wichtig. Manch einer  knöpfte noch mit einer Hand den Arbeitskittel zu um mit der anderen Hand die Stempelkarte einzustecken.

Bild 6 Lehrwerkstatt

  Jeden Morgen, zu Arbeitsbeginn,  ging Meister Fiedler zu dem großen Hauptschalter und legte  ihn zweimal um. Es brummte und dann setzte sich die lange Transmissionswelle in Bewegung, die unter der Decke montiert war. Ich höre heute noch das: „Flapp – Flapp – Flapp“ der Treibriemen. Bild 6. Von dieser wurden Drehbänke, Fräsbänke, eine Hobelmaschine und eine Säulenbohrmaschine angetrieben. An eben dieser Maschine passierte Folgendes:  An einem Tage hatten Helmut Ronge und ich den Auftrag an der Ständerbohrmaschine aus Flacheisen  gebogene U- Profile zu bearbeiten. Wir mußten eine Bohrung von 25 mm machen. Wir hatten den Maschinenschraubstock auf dem Bohrtisch montiert, und los ging es. Irgendwann haben wir wohl etwas zu   viel Vorschub gegeben, da drehte sich der Bohrtisch mit und der Bohrer verkantete sich. Mit einem hörbaren Knall zerbrach das Ding. „Oh, Mann, wie habt ihr denn das geschafft?“ , und ähnliche Beschimpfungen mußten wir ertragen . Die beiden Bohrerteile landeten  dann in der Vitrine, die im Unterrichtsraum stand. Da drin waren allerlei Teile ausgestellt, die von Lehrlingen  „geopfert“ worden waren.

  Immer wieder kam es vor, daß beim Bohren von Winkelprofilen und ähnlichen Materialien, der Bohrer plötzlich hakte, verlief oder abbrach. Meister Fiedler kannte das Problem und es gab keine Rüge. Es war eben noch die Zeit des Wiederaufbaus und die Stahlverarbeitung hatte noch nicht die hohe Qualität erreicht. Man schmolz Schrott ein und da kam es vor, daß schwer schmelzende Stähle dabei waren, die zu Verhärtungen führten.

  Während dieser Zeit gab es eine Gruppe von älteren Kollegen, die, unter der Leitung von Herrn v. Hollen,  die Idee ausführten, die alljährliche „Freimarktsbeerdigung“ zu veranstalten. Dieser Trauerzug bestand aus etwa 15 Leuten, die teilweise schwarz gekleidet waren und einen Zylinder auf dem Kopf trugen. Die eigentlichen Sargträger trugen gelbe Kunstseidenumhänge auf denen auch mal ein Weinglas aufgestickt war. Kernstück war ein großer Sarg, der einmal mit einem funktionierenden Riesenrad dekoriert war.  Ein anderes Mal war es eine Rakete, die, mit vielen Lampen versehen war und sich aufrichtete und senkte. Die ganze Technik wurde durch Autoakkus, die im Inneren des Sargs montiert waren, angetrieben. Die ganze Einrichtung war natürlich schwer. So konnten sich dann Lehrlinge melden, die den Sarg tragen, oder auch an dem Aufbau mit machen wollten.  Insgesamt  8 Mann mußten den Sarg tragen.. In einer Bastelwerkstadt in Hastedt wurde der Sarg ausgerüstet und dann am letzten  Freimarktstag in Richtung Innenstadt mit allem Gefolge in Bewegung gesetzt. Am Schwarzen Meer, Ostertorsteinweg,  zum Roland. Vor dem wurde von einem eine Art Huldigung gesprochen , dann ging der Zug durch den Rathskeller. (Das erste Bier!) Anschließend ging es weiter zu Remmers  Bierstuben. ( noch ein Bier). Es war manchmal nicht einfach mit dem Sarg durch die Menschenmenge zu kommen. Dann bewegte sich der, schon etwas angeheiterte Zug, über den Herdentorsteinweg, Richtung Freimarkt. Da ging es natürlich eng zu. Die Polizei schaffte es aber, uns genügend Freiraum zu lassen. Besonders im Gustav Deetjen -Tunnel herrschte großes Gedränge . Dann  ging es über den Freimarkt. Überall durften wir umsonst fahren. Gegen 23 Uhr war der Freimarkt aus und der „Trauerzug“ schaukelte  in Richtung Große Weserbrücke, wo dann mit viel Geheul die Versenkung des Sarges in die Weser erfolgte. Natürlich dümpelte unter der Brücke ein Boot um den Sarg  aufzunehmen.

  Wir sind natürlich immer mal heimlich im Werksgelände herumgestromert. Da entdeckten wir in irgendeinem Dachgeschoß den Modellboden. Es war beeindruckend die riesigen Holzmodelle der verschiedenen Gußteile zu sehen. Besonders hatten uns die  Modelle von Schiffschrauben angetan. Angeblich sollen es Schrauben vom alten Schnelldampfer „Bremen“ gewesen sein, deren Kernloch so groß war, daß drei Stifte da drin hätten Skat spielen können, - und auch taten!

  Jürgen Bartels und ich, wir waren mal wieder auf Entdeckungstour. Bei sonnigem Wetter stiegen wir am Ausrüstungskai die Treppe hinunter und gingen den schmalen Pfad, der in Wasserhöhe angelegt war. Da entdeckten wir einen niedrigen schmalen Stollen, der in die Kaimauer führte. Reingetraut haben wir uns nicht. Wir setzten uns an den Eingang und sonnten uns. Später erfuhren wir, daß dieser Stollen als Notweg diente, der es den Werftarbeitern möglich machte, vor einem Luftangriff noch schnell in Sicherheit zu kommen. Immer wieder kamen wir auf Spuren aus der Kriegszeit.

  Für die restliche Lehrzeit kamen wir Feinmechaniker in die Lehrwerkstatt 2. Der Meister war Walter Beckfeld. Bild 7 in der Mitte. Die war in der „ELMA“ untergebracht. ELMA stand für Elektro – mechanische Abteilung. Während in   der Grundlehrwerkstatt außer den Feinmechanikern, Maschinenschlosser, Schiffbauer, Kupferschmiede, techn. Zeichner und Dreher,  die ersten Handgriffe lernten, war die zweite Lehrwerkstatt  so eine Art Schaltstelle der folgenden Lehrzeit für  die Feinmechaniker. Von hier aus wurden die Lehrlinge in die verschiedenen Fachbereiche delegiert. Es gab einen Plan, aber man konnte auch Wünsche anmelden.

Bild 7 v. r. n. l.: Ausbilder Hans Birr,

Meister Kuhlmann und Meister Beckfeld

  Da war die Werkzeugmacherei unter Meister Kinder. Er hatte eine Gruppe, d.h. es war nur ein Mann, die sich mit der Pflege der Werkzeugmaschinen befaßte. Gerd Waterkamp hieß er und war ein prachtvoller Charakter. Es war aufregend, wenn man als Stift beim Zerlegen eines Drehbankgetriebes mit  helfen durfte. Er hatte immer flotte Sprüche drauf und konnte auch sehr drastisch sein. Als einmal ein Lehrling mit gerümpfter Nase und spitzen Fingern versuchte in der Petroleumwanne irgendwelche Teile auszuwaschen, dann sah Gerd eine Weile hin, kam auf den Stift zu, nahm seine beiden Hände und plantschte ein zwei Mal in die Brühe. Der Stift war  befleckt, aber  hatte kapiert.

  Dann gab es eine Galvanik, da waren wir auch gerne tätig. Vor Allem hatten wir die Möglichkeit auch mal privat etwas zu galvanisieren. Wir sammelten blanke 1Pf. – Stücke und konnten die  dann heimlich versilbern. Wir konnten damit  dann den Mädchen damit imponieren…. Der häufig betrunkene Meister war da schnell ausgetrickst.

  In den elektrischen Prüfbereich kamen wir auch. In einer Abteilung war ein Kollege, der handelte mit allerlei Landwirtschaftsprodukten. Er hatte sogar manchmal lebende Hühner dabei, die in Käfigen irgendwo in der Ecke standen. Überhaupt war der „Unter- dem- Werktisch- Handel“ verbreitet. Obst, Gemüse, Würste und auch Tabak. Wobei da auch wohl mal Schmuggelgut bei war – wie man in Bremen sagt. Wenn mal ein Fischdampfer zur Überholung festgemacht hatte, dann konnte man günstig Räucherfisch erwerben.

  In der ELMA wurden Echolote, Radargeräte, Thunfischangeln und verschiedene Medizintechnik – Geräte entwickelt. Und natürlich die Sonaranlagen für die Marine. Die Abteilung Meß – und Analysentechnik,  MAT, wurde von der Elma dann nach Pusdorf ausgelagert. Dort wurden Massenspektrometer und andere physikalische Geräte gebaut. Dort war ich auch eine Zeit lang beschäftigt . Ich konnte dort zusehen, wie flüssige Luft erzeugt wurde. ( -150 Grad ) Damit haben wir natürlich Unfug gemacht. Der offene Behälter wurde mit Preßluft beblasen und erzeugte dabei einen kräftigen Schneefall.

Bild 8 Mechanische Werkstatt ME2 Bild 9 Mechanische Werkstatt ME2

Bild 10 v.l.n.r.: Ernst Ehrke, ?, Meister Dulze, Oli Grebe, Meister Grube, L. Emmerich

  Unter der Lehrwerkstatt 2 befand sich die Me 2 – Werkstatt. Da wurden Echolote und Radargeräte montiert. Bild 8, Bild 9. Jede Fachkolonne hatte einen Vorarbeiter. Einer von diesen Kolonnenschiebern, wie sie auch genannt wurden, war Oltmann Grebe. Bild 10, stehend in der Mitte. Er war ein vollsaftiger Mensch und  seine drastische Art, die nie verletzend war, mußten auch die Lehrlinge ertragen. Alle wollten gerne in seine Gruppe. Oli Grebe war ein Schlitzohr, aber das mußte er ein, wenn wieder mal der Kalkulator kam und Zeit nehmen wollte. Er schaffte es vor dem Kalkulator enorm viele Handgriffe pro Arbeitsgang zu machen um die Zeit zu verlängern. Wenn der Kalkulator gegangen war, dann machte Oli die Abläufe schneller. Er konnte dann die Arbeit höher verrechnen, was sich dann positiv in der Lohntüte auswirkte. Dann kam es vor, daß er sich kleine Vorrichtungen baute, um schneller zu sein. Das durfte natürlich der Kalkulator nicht wissen. Es wurde damals im Akkord gearbeitet. So wurden wir systematisch auf die Erstellung von kleinen Vorrichtungen ausgebildet. Nicht nur wegen dem Kalkulator.

  Ein paar Wochen war ich in der Spulenwickelei bei Meister Grube eingesetzt. Bild 10, Zweiter von rechts. Ich sah, wie Frauen mit einer Schere Folienbänder aus Hostafan  zuschneiden mußten, um sie anschließend an den Seiten zu „federn“. Erst dann konnten die Bänder für die Trafowickelei verwendet werden. Ich ließ mir etwas einfallen und das durfte ich dann herstellen. Dieses einfache Maschinchen war in der Lage die Folien auf Breite zu schneiden und gleichzeitig zu „federn“. Angetrieben wurde das alles mit einer kleinen Handkurbel. „Atlas“ hatte kein Verbesserungs – Vorschlagswesen. Ich bekam einige Zeit später 50 Mark für den Vorschlag. Das war für mich viel Geld.

  In der Me2 war  nicht all zu viel Platz zwischen den Werkbankreihen. Wenn jemand mit dem zweirädrigen Gummiwagen da durchfahren wollte, dann mußte ein Kollege schon mal zur Seite rücken. Oli Grebe war wohl gerade mit der untersten Schublade beschäftigt( Das war die, wo er seine geheimen Vorrichtungen aufbewahrte), als Stift Fridolin Lindemann mit dem Gummiwagen vorbei wollte. Oli nahm den halben Gang ein und Fridolin wartete. Dann wurde er ungeduldig und rief laut vernehmlich: „Herr Grebe, hoffentlich nehmen Sie bald ihren fetten Arsch da weg!“ – Oli Grebe fror seine Gesichtszüge ein und zog sich mit seinem Drehstuhl an die Werkbank, damit Fridolin weiter fahren konnte. Es gab ein schallendes Gelächter.

  Wie wohl bekannt, waren unter den „Atlas“-Kollegen viele engagierte Kommunisten. Auch unter den Lehrlingen. In meine Lehrzeit fiel das KPD - Verbot Adenauers. Es soll damals Schlägereien im Werftbereich gegeben haben. Eines Tages kam ein neuer Kollege in die Me2. Er stammte aus Thüringen und erzählte uns daß er nach dem Krieg von den Sowjets verschleppt wurde, weil er Feinmechaniker war. Er lebte seitdem in Suchi am Schwarzen Meer, wo die Sowjets ein Atomforschungszentrum eingerichtet hatten. Die Leitung hatte damals Manfred von Ardenne, der bekannte Physiker. Der Kollege war aber offiziell in den Westen ausgereist. Zu dieser Zeit erschien in der Zeitschrift  „Stern“ über diese Forschungsstätte ein großer Bericht. Den brachte er mit zur Arbeit und bestätigte alles, was an Grausamkeiten dort beschrieben war. Ich weiß, daß der Mann sehr erregt war und immer noch unter der Zeit litt. Plötzlich kam ein Kollege von irgendwo her, riß dem Mann die Zeitschrift aus der Hand und brüllte fast: „Das ist alles Lüge, sowas gibt es in der Sowjetunion nicht!“ Bevor es zu einem Eklat kam,  konnte Obermeister Bachmann den Streit schlichten. Den neuen Kollegen habe ich nicht mehr gesehen.

  Ich bin kein politischer Mensch und als Stift war ich das noch weniger. Es war an einem Freitag, eine halbe Stunde vor Feierabend. Die Lehrwerkstatt 2 war geputzt und wir standen zusammen und unterhielten uns. Walter Beckfeld kam aus der Meisterbude und gab uns höflich zu verstehen, daß wir hier nicht so rumstehen sollen. Wenn Herr Furhoff, das war der Fertigungsleiter, raufkommt, dann macht das keinen so guten Eindruck. Ich war etwas vorlaut und bemerkte: „Ja, ja, wie in der DDR, da dürfen auch nicht mehr als drei Leute zusammen stehen!“ Alle anderen Kollegen machten Feierabend und ich mußte  noch zwei Stunden irgendwelche Aufräumarbeiten machen. Er hat kein Wort darüber gesprochen. Ich kam natürlich später zu Hause an und meine Eltern waren schon sehr besorgt. Ich habe dann die Geschichte erzählt und Rat  gesucht, wie ich mich verhalten soll. Mein Vater rief später seinen Bundesbruder Heinrich Maas an. Der war Entwicklungsleiter bei „Atlas“ und saß im Vorstand. Was die besprochen haben weiß ich nicht, aber ich hatte keine Nachteile mehr. Zwei Mitlehrlinge fielen verbal über mich her und machten mir klar, daß ich sowas nie wieder sagen dürfte. Es waren zwei aktive Kommunisten.

  In der Werkzeugausgabe saß ein Mann, der so eine Art Vertrauensmann für die Lehrlinge war. Das war Herrmann Schröder. Er hatte ein schweres Schicksal hinter sich. Er hatte sich mit den Nazis angelegt und  die steckten ihn in das berüchtigte Strafbataillon  999, das er als einer der wenigen überlebt hatte. Ich ging zu ihm und mit schmunzelndem Gesicht nannte er alle Kommunisten, die in meinem Umfeld aktiv waren. Die habe ich alle vergessen.  Herrmann Schröder konnte sehr gut zeichnen und stellte in seiner Freizeit aus Blech ausgesägte Motive her, die er dann als Wandschmuck verkaufte. Auch die Geschäftsleitung ließ bei Ihm arbeiten um repräsentative Geschenke zu haben.

  Jetzt hatte die Ausbildungsleitung die Idee, einen Lehrausbilder ein zu stellen, der die Stifte betreuen sollte. Es kam ein smarter junger Mann, der Kelch hieß und Sohn eines Fabrikanten aus dem schwäbischen Schorndorf war. Der unterzeichnete dann auch die Berichtshefte. Der führte dann eine Art Prämie ein. Welchen Lehrling er für besonders fleißig hielt, gab er dann 30 Mark extra zur Ausbildungsbeihilfe. Leitspruch: „Wenn D‘ nit arbeitsch, kriegsch koi Brämie!“ Dabei viel auf, daß die Berichtsheft -  Unterschrift zuerst bescheiden war, aber im Laufe der Zeit immer mächtiger wurde. Wer die Idee hatte, weiß ich nicht, aber plötzlich erschienen an allen „Schwarzen Brettern“ kleine Zettel auf denen die Unterschriften des Herrn Kelch von klein bis groß nachgeahmt waren. Darunter stand: „ Das Werden einer Persönlichkeit an Hand von Berichtsheftunterschriften!“ Angeblich soll Herrmann Schröder die Zettel gestaltet haben.

  Eine Tätigkeit, die jeder Lehrling mal machen mußte, war das Entgraten von Schwingergehäusen. Das konnte nur von Hand erfolgen. Diese, aus Bronze gegossenen Rahmen,  waren mit Ausfräsungen  und Bohrungen versehen. Die Fräs- und  Bohrgrate waren messerscharf und mußten mit Feile und Dreikantschaber entfernt werden. Mehrere Lehrlinge saßen um einen Behälter herum, der mit diesen Teilen gefüllt war. Immer wieder kam es dabei zu Schnittverletzungen. Irgendwann gab es eine bessere Lösung und die Lehrlinge waren davon befreit.

  Eine Weihnachtsgratifikation gab es noch nicht, aber kleine Geschenkpäckchen sollten alle haben.  Der Betriebsrat verteilte rechtzeitig Vorschlaglisten  mit der Angabe des Preislimits. Wenn man weiß, daß damals rund 3000 Beschäftigte bei „Atlas“ waren, so ist es für mich nicht vorstellbar, wie das mit den Päckchen, die dann verteilt wurden, organisiert werden konnte. Es war eine schöne Idee.

  Nun komme ich noch zu einem anderen Thema daß damals einen hohen Stellenwert hatte: Die Privatarbeit. Alles was irgendwie zu reparieren war, vom Kochlöffel bis zum Radio durfte man im Werk machen, wenn der Meister das wußte. Da wurden manchmal beide Augen zugedrückt. Das größte Projekt, was ich erleben durfte war das Auto von Meister Kinder. Autos waren unerschwinglich und man versuchte irgendwelche Autos, meistens Vorkriegsmodelle, zu ergattern, um die aufzumöbeln. Meister Kinder ging aufs Ganze. Er hatte das Chassis eines Vorkriegs – DKW aufgetrieben und die Karosserie eines alten Opel Olympia. Diese Teile wurden in der Werkhalle zusammen gepaßt. Wir Lehrlinge waren begeistert dabei. Da haben wir Bremsbacken  neu belegt, Bremstrommeln ausgedreht, Achsschenkelbolzen angefertigt und was sonst nötig war. Das Fahrzeug wurde nach Wochen fertig und jeder beneidete den Meister um das schöne Stück.

  Jedes Teil, daß man mit in die Firma nahm, um es zu reparieren, mußte beim Pförtner angemeldet werden. Dieser Pförtner war ein gestrenger Mann. Wenn jemand etwas aus der Fabrik stibitzen wollte, dann kam er beim Pförtner nicht vorbei. Dieser Oberpförtner wurde wegen seines Auftretens „General Zack“ genannt. Ob in leitender Position  oder Arbeiter, wenn einer nach Arbeitsbeginn noch  am Pförtner vorbei schleichen wollte, wurde recht heftig von „General Zack“ zur Rede gestellt. Gleitende Arbeitszeit gab es noch nicht.

  Auch gab es damals keinen bargeldlosen Zahlungsverkehr. Zweimal im Monat standen  die Arbeiter, natürlich auch die Lehrlinge,  an der Meisterbude Schlange um die Lohntüte entgegen zu nehmen. Später, als der Lohn bargeldlos auf Konto überwiesen werden sollte, da waren  es die Gewerkschaften, die sich dagegen sträubten. „Da erfahren ja die Ehefrauen, was ihre Männer wirklich verdienen!!“…

Bild 11 Gruppenbild Gesellenfeier

Bild 12 

 

  Nach der Gesellenprüfung der Feinmechaniker fand die große Gesellenfeier statt. Das ganze Zeremoniell glich einem Ritual. Ort der Feier war die Wirtschaft: „Zum Minister“ im Findorff. Alle Gesellen und Meister, die mit Lehrlingen zu tun hatten waren anwesend. Und natürlich die frisch gebackenen Gesellen. Es war ein großer Tisch aufgebaut und dahinter saß der „Hohe Rat“. Bild 10. In der Mitte stand als Oberrichter Oli Grebe und neben ihm die beiden Beisitzer, Meister Dulze und Meister Grube. Jeder Geselle wurde in alphabethischer Reihenfolge aufgerufen und mußte eine, meist humorvolle Fachfrage beantworten. Danach hatte sich der Kandidat zu bücken und wurde mit dem großen Holzschwert vom Vorsitzenden Oli Grebe zum Gesellen geschlagen. Bild 12 zeigt den Verfasser nach dem Gesellenschlag.

  Als Fazit kann ich sagen, daß das Verhältnis zwischen Ausbildung und Stift sehr gut war. Wenn wir etwas ausgefressen hatten, dann gab es eins aufs Dach, aber immer auf menschlicher Basis. Als ich einmal meine Schieblehre auf einer Feile abgelegt hatte, sah mich Willy Kroning vorwurfsvoll an und reimte:

Was tat Gott in seinem Zorn?

Er schuf den Bengel Blanckenhorn!

  Nach dem Ende der Lehre ging ich in die Entwicklung und arbeitete im Labor EL1, was damals von Werner Schwarz geleitet wurde. Es ging um die Entwicklung von Sonaranlagen und den dazu gehörenden Servosteuerungen.  Dort machte ich auch den Umzug nach Sebaldsbrück mit. 1965 verließ ich „Atlas“ und ging auf das „Seminar für Technische Ausbildung“, ev. . Nach diesem Abschluß zog ich nach Freiburg um dort an der Entwicklung von Medizintechnik teil zu nehmen. Und nun schließt sich der Kreis. Seit den siebziger Jahren habe ich mir die Uhrmacherei beigebracht. Seit meinem Vorruhestand betreibe ich eine Werkstatt für die Restaurierung alter Uhren. Noch heute schöpfe ich aus den Erfahrungen und Fertigkeiten, die ich in meiner Lehrzeit bei „Atlas“ erlangen  konnte. Wenn auch Meister Fiedler uns warnte die Finger von den Uhren zu lassen. Trotz aller Elektronik, mit der ich zu tun hatte, hat mich die Feinmechanik immer verfolgt und ist, wie der berühmte schwarze Pudel, hinter mir hergeschlichen. Es entstand eine kleine Werkstatt, in der ich viele Dinge bauen und reparieren kann. Neben der Uhrmacherei, die viel Zeit beansprucht, kann ich Spielzeug – Dampfmaschinen und anderes Blechspielzeug  bearbeiten. Dann habe ich Zubehör für Groß – Flugmodelle erstellt, Möbelbeschläge, alte Schlösser. . . . Leider gibt es heute diese universelle Ausbildung nicht mehr. Wir befinden uns im Austauschzeitalter.

      Juli 2014 Hans H. Blanckenhorn